Dr. Ralf Nielbock:

Der Kranichstein bei Bad Sachsa - Fundort  pleistozäner Tierknochen
      
Einleitung: Im Niedersächsischen Landesmuseum  Hannover  befinden  sich aus dem Gebiet des Landkreises Osterode am  Harz  nicht  nur die Ausgrabungsinventare aus der Steinkirche und der Einhornhöhle bei Scharzfeld, sondern auch noch Funde aus  dem  Gipskarst.  Bei der intensiven Suche in musealen Beständen 1 nach quartären Tierknochenfunden des Südwestharzes, die der Autor im Rahmen des Projektes  "Wissenschaftliche  Bearbeitung  eiszeitlicher   Tierknochen" 2 1989/90 im Landesmuseum durchführte, kamen im ausgelagerten Magazin der Naturkundeabteilung in den verschiedensten Schubladenschränken und Kisten etliche Funde aus dem  Südharz  zutage.       
Hierbei handelt es sich neben Einzelstücken des  Osteroder  Gipskarstes und der Einhornhöhle bei Scharzfeld (hier u.a. ein  Oberkiefer mit Eckzahn eines Hö
hlenlöwen; bis dato  nicht  veröffentlicht) vor allem um Funde vom Kranichstein bei Bad Sachsa.
 
Bei dieser Fundstelle handelt es sich um einen Gipssteinbruch ca.  2,5 km südöstlich von Bad Sachsa im  Höhenzug  des Kranichsteins, am Rande der Ortschaft Neuhof gelegen. Der  anstehende  Gipsstein
wurde und wird hier von der Fa. Börgardts  aus  Walkenried  abgebaut. Erste Hinweise auf Fossilfunde  in  diesem  Steinbruch  gab Walter REINBOTH bereits 1955 in seinem Aufsatz "Vom Gips", den er
mit den passenden Worten  einleitete: 
"Es  bleicht  des  Mammuts  Restgebein am alten, wilden Kranichstein".
REINBOTH führt an Funden in den Jahren vor 1955 "Höhlenbären,  Mammut,  Wildpferd  und andere" auf. Den Unterkieferfund eines Höhlenbären  gibt  er  bereits als den "größten bisher in  Niedersachsen  gefundenen"  an, womit er bis zum heutigen Tage recht behalten sollte (s.u.)!

In einer der Schubladen mit entsprechend beschrifteten Fossilfunden vom Kranichstein befand sich  nun  ein  Begleitschreiben  der Fa. Börgardts aus dem Jahre 1951, unterschrieben von REINBOTH 3. Es handelt sich bei diesen Stücken um Teile des von ihm 1955  angegebenen Kranichstein-Materials! Über den Verbleib der  weiteren Funde (Mammut und Pferd) konnte der  Autor  nichts  in  Erfahrung  bringen. Bei weiteren Recherchen stellte sich heraus, daß vom damaligen Bruchmeister Eugen  ZIEGENBEIN,  Neuhof,  in  den  Jahren   1965/66 weitere Funde dem Nieders. Landesamt  für  Bodenforschung  übergeben wurden. SICKENBERG bestimmte die Funde  als  Auerochse,    Wollhaarnashorn und Wildpferd 4. Er faßte  in  seiner  Abhandlung  über die Harzer Wirbeltierfaunen (1969) dann die  Funde  aus  dem  südlichen Bereich des Landkreises Osterode unter der  Bezeichnung "Walkenried (mehrere Brüche)" zusammen. Er gibt hierfür  nur  die  reine Fossilliste an, die allerdings  auch  teilweise  STRUCKMANN (1884) entnommen wurde:

Rangifer tarandus L.;
Cervus elaphus L.;
Bison priscus (BOJ.);
Bos primigenius BOJ.;
Coelodonta antiquitatis (BLUMB.);
Equus spec.


Eine jetzt getätigte Nachfrage beim Nieders. Landesamt für Bodenforschung ergab, daß weder schriftliche Hinweise noch  Fundstücke vom Kranichstein in den dortigen Beständen vorhanden sind 5.

 
Das pleistozäne  Fossilinventar  "Kranichstein"  im  Landesmuseum Hannover umfaßt die folgenden Funde:
   
Ursus spelaeus ROSENMšÜLLER & HEINROTH 1793       
Material:
 - C sup.sin. (linker oberer  Eckzahn)  mit anhängendem,stark versintertem Oberkieferbruchstück; Farbe  weißl.-hellgelb, Knochen weißgrau; Krone mit Abschliffriefen.
B = 21,6mm, L = 27,0mm, Ges.L = 110mm.  (Abb.1)
       
- Mandibel dext., Mittelteil mit M1 M2 M3, vorderer Bereich und Proc. coronoideus  abgebrochen,  Bruchstelle stark versintert; Zähne mittel bis stark abgekaut; Farbe weißl.-grau, Zähne gelbl.-weiß.(Abb.2)
Wie bereits von REINBOTH zum Zeitpunkt  des Auffindens vermutete, handelt es sich auch bis dato um den größten bislang  in  Niedersachsen gefundenen Höhlenbärenunterkiefer.  Die  Gesamtlänge  von ca. 315 mm wurde nach den vorhandenen Maßen hochgerechnet.
Es sich bei dieser Größe zudem um ein masculines Tier gehandelt  ha
ben. Die Unterkieferfunde aus den nahen Rübeländer Höhlen,  Sachsen-Anhalt haben allerdings noch höhere Maximalwerte (s.u.).
 
Tab. 1: Ursus spelaeus; Mandibel-Fund vom Kranichstein, Meßwerte.
Unterkiefer Kranichst Baumann Rübeland EHH-JF EHH-WS
Gesamtlänge ca.315,0 315,0 275 - 355 286,0 275,0
Länge M1-M3 92,9 86,0   83,0 83,0
Höhe M1/M2 79,0 70,7   60,0 69,0
Höhe  M2/M3 81,0 76,6 58-95 64,0 70,0

 

Zahnmaß Länge vord.Breite hint.Breite Einschnürung
M1 31,7 13,7 16,3 13,2
M2 31,7 20,6 20,9 18,1
M3 30,8 20,5 - -
Legende: Kranichst. = Fund vom Kranichstein;  Baumann = Baumannshöhle (NIELBOCK1991);  Rübeland = Rübeländer Höhlen (SCHšTT1969); EHH = Einhornhöhle (NIELBOCK 1987): JF = größter Wert Funde Jacob-Friesen-Gang, WS = dto. Weißer Saal. (alle Werte in mm).
UP
Abb. 1: Ursus spelaeus; oberer linker Eckzahn; Landesmuseum Hannover; Kranichstein. Maßstab in cm (Si = Sinter).
Abb. 2: Ursus spelaeus; rechter Unterkiefer mit M1,M2,M3; Landesmuseum Hannover; Kranichstein; labiale Seite. Maßstab in cm. UP

 

 

Coelodonta antiquitatis (BLUMENBACH 1803)

Material:

 - Mandibel sin. mit M3 und M2, vorderer  Bereich  sowie Fortsätze abgebrochen; Jungtier, M3 befindet sich  noch  im Kiefer, M2 ist bereits durchgestoßen;  Farbe gelbl.-weiß; H”ööhe vor M3:  63mm. (Abb.3)
Maße M2: L = 46,0mm; B = 22,7mm; Höhe ca. 40mm.
 
- Mandibel sin. mit M1,M2,M3,  Unterkiefer  selbst  nur als Burchstück vorhanden, Zähne lose und teilweise zerbrochen (Funde waren auf 2 Schubkisten verteilt); Farbe gelblich-grau; Z„hne leicht abgekaut.  (Abb.4).  
Maße:
 - M1: L = 51,0mm; B = 30,0mm; H = 46,0mm.
 - M2: L = 50,5mm; B = 29,0mm; H = 40,0mm.
 - M3: L = 35,0mm; B = 28,0mm; H = 43,0mm.

 

UP

 

Abb. 3:  Coelodonta antiquitatis; linker Unterkiefer  mit  M2 M3; Landesmuseum Hannover; Kranichstein; Aufsicht. Maßstab in cm.

Abb. 4: Coelodonta antiquitatis; linker Unterkiefer  mit  M1 M2 M3; Landesmuseum Hannover; Kranichstein; labiale (oben) und occlusale (unten) Ansicht. Maßstab in cm.
 
Sus scrofa LINNE 1758

Material:
- Mandibel, beidseitig mit jeweils M2, M3;  M1 und P4 befinden sich noch in den  Kieferhälften.  Vordere  Zähne (I,C) nicht  vorhanden,  Alveolen  dieser  Zähne  nicht erkennbar (Beschädigung); Farbe grüul.-braun.

Maße:
- Mandibel dext. und sin. jeweils: Ges.länge = 180mm; Zahnreihenlänge P3-M3 = 80mm;
Höhe vor M2 = 29,8mm; H.v. M3 = 30,6mm.
- M2: L = 18,0mm; B = 11,0mm.
- M3: L = 22,2mm; B = 13,0mm.

Da die hinteren Molaren zwar herausgewachsen sind, allerdings noch keine Abkauungserscheinungen aufzeigen, und die weiteren Backenzähne noch nicht durchgestoßen sind, handelt es sich bei dem Fund um den Knochenrest eines Jungtieres. Der relativ gute Erhaltungszustand und auch die im Vergleich zum Gesamtinventar etwas andere Farbgebung des Knochenmaterials weisen auf ein eher holozänes Alter des Fundes hin.

 

Bos LINNE 1758 vel Bison SMITH 1827

Material: 1 Bruchstück eines Unterschenkelknochens.

Da das Fundstück nur unvollständig vorliegt und es sich zudem um ein Einzelstück handelt, ist eine genaue Zuordnung zu der einen oder anderen Art nicht möglich. Die gelblich-graue Farbgebung und der "morsche" Erhaltungszustand lassen auf ein pleistozänes Alter des Knochenstückes schließen.

 

Anmerkungen:

1: Hierbei danke ich Herrn Dr. G. BOENIGK, Direktor der Naturkundeabteilung des Nieders. Landesmuseums Hannover, und seinen Mitarbeitern für die Ausleihe des Fossilmaterials zur Erfassung und  Bearbeitung.

2: Das Projekt war angesiedelt bei der Archäologischen Denkmalpflege des Landkreises Osterode am Harz und diente der Erfassung und Inventarisation eiszeitlicher Fundstellen und Funde im Kreisgebiet.

3: siehe auch Hinweis im Nachruf "Walter Reinboth sen. zum Gedächtnis" in Heft 1/91 der ArGeKH-Mitteilungen, geschrieben von F.REINBOTH.

 4: An dieser Stelle danke ich Herrn Ziegenbein für die Einsichtnahme in den zugehörigen Schriftwechsel. Er erhielt  reichhaltige Knochenmaterial immerhin eine bescheidene Fundprämie von 40.- DM, da, so SICKENBERG, "einige gute Stücke dabei sind".

5: Herrn Prof.Dr. Gramann danke ich für die Aufstellung zu Funden aus dem Südharz in den Beständen des Nieders. LA Bodenforschung.

 

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Mittlg. ArGe Karstkunde Harz 1991

 

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